„Beziehungen, die in Krisen entstehen, werden meist besonders innig und halten lange. Das gilt auch für die Beziehung zu Marken. Wer jetzt klug wirbt, hat große Chancen, seine Marke zu stärken“, sagt Heinz Grüne, Geschäftsführer des Rheingold Instituts. Im Interview mit Getränke News erklärt der Psychologe und Marktforscher, welche Einflüsse die Corona-Krise auf die Getränkebranche und ihre Marken hat und was jetzt in Sachen Werbung anders laufen muss.
Das Interview erschien am 20. Mai 2020 bei Getränke News.
2008 hatten wir die Finanzkrise, 2015 die Flüchtlingskrise. Die Corona-Krise hat noch einmal eine ganz andere Dimension. Wie nachhaltig wird sich diese Pandemie auf uns auswirken?
Die Finanzkrise war ein singuläres Ereignis und für den „Normalbürger“ nach einem relativ kurzen Zeitraum von gut zwei Jahren kaum noch spürbar. Das ist jetzt anders. Ein „nach der Krise“ wird es erst geben, wenn medizinische Lösungen wie ein Medikament oder ein Impfstoff gegen Corona gefunden werden. Solange das nicht passiert, ist die Krise der Normalzustand. Wir sollten uns darauf einstellen, dass wir für lange Zeit mit Corona leben müssen. Neben der Hoffnung auf ein Ende brauchen wir einen Plan B, auch für den Fall, dass eine zweite Welle kommt.
Seit ein paar Tagen ist die Gastronomie wieder geöffnet. Können die Leute überhaupt schon wieder unbeschwert ausgehen und genießen?
Die Situation in der Gastronomie ist hier völlig ambivalent. Auf der einen Seite brachte uns die Öffnung der Gaststätten einen Hoffnungsschimmer, auf der anderen Seite materialisiert sich gerade in der Gastronomie der Ausnahmezustand. Obwohl es dort ganz normal und locker zugehen sollte, müssen wir uns in Listen eintragen, strenge Hygiene- und Abstandsregeln einhalten und werden mit Mundschutz bedient. Und das, was die Gastronomie ausmacht, nämlich die Nähe, das Gesellige, die sozialen Kontakte, findet gerade nur sehr begrenzt und gezügelt statt. Von Unbeschwertheit kann also keine Rede sein. Eine Sorge der Wirte ist, dass die Leute jetzt zwar in die Gaststätte kommen, danach aber sagen, mit diesen Regeln und Auflagen macht es mir keinen Spaß, da trinke ich doch lieber mein Bier mit Freunden zuhause.
Auch um Geld zu sparen?
Die Leute konnten in den letzten Wochen weniger Geld ausgeben. Viele haben jetzt zwar genug im Portemonnaie, geben es aber nicht aus. Bei den schlechten wirtschaftlichen Prognosen und der Unsicherheit bleiben viele lieber sparsam und gehen weniger oft ins Restaurant.
Welche Rolle spielt die Getränkebranche in der aktuellen Zeit?
Die gute Nachricht: Die Getränkebranche ist Grundversorger. In den unterschiedlichen Produkten können wir unsere Individualität ausleben. Das lassen wir uns nicht nehmen. Deshalb genießen wir Markenprodukte, anstatt unseren Durst mit Leitungswasser zu stillen. Den Herstellern bleibt also ein Grundabsatz ihrer Getränke. Auf der anderen Seite fehlt der Mehrabsatz durch ausgelassene Geselligkeit. Geselligkeit in Gastronomie und auf Festen, wo wir mehr trinken als nur unseren Durst zu löschen.
Wie bewerten Sie die Hilfsaktionen verschiedener Getränkehersteller?
Es ist toll, dass so schnell und unbürokratisch geholfen wurde. Sicherlich nicht ganz uneigennützig. Denn was hätte eine Brauerei von einem Gastronomieobjekt, das für immer schließen müsste. Dennoch ein großes Lob. Es ist ein schönes Zeichen für partnerschaftliches Miteinander.
Einige Getränkehersteller verzichten gerade auf Werbung, andere machen unbeirrt ihre alten Kampagnen weiter, wieder andere haben speziell auf die Krise abgestimmte Werbung entwickelt. Wie werden Kommunikation und Werbung aktuell wahrgenommen und bewertet?
Es gibt in der Krise drei kommunikative No-Gos: Erstens: nichts tun. Wenn eine Marke kein Gesicht mehr zeigt, verschwindet sie. Dieses Verschwinden wird mit der Krise und einer kränkelnden Marke assoziiert. Zweitens: so weiter machen wie bisher. Dies ist auch keine gute Lösung. Hier wird häufig das Signal gesendet „Wir sind die Größten, die Besten. Kauf mich, weil ich so gut bin!“. Das ist für den Konsumenten negativ, weil so getan wird, als wäre nichts passiert. Dabei ist jeder von uns ein Opfer der Krise. Das dritte No-Go: auf die Tränendrüse drücken. Die Werbungen mit #wirhaltenzusammen waren anfangs o.k., jetzt können die Leute das nicht mehr sehen, wollen wegschalten.
Was sollten Werbetreibende jetzt berücksichtigen?
Die Leute haben in der Krise gerne so etwas wie „Seelennahrung“ oder „Soulfood“. Werbung, die sie zum Schmunzeln bringt, die verhalten witzig ist. Das müssen keine großen und aufwändigen Kampagnen sein. Ein positives Beispiel ist die aktuelle Gaffel-Werbung „Mit Abstand das beste Kölsch“. Hier wird das Abstandsthema mit einem Augenzwinkern verkauft. Das mögen die Leute. Die Werbetreibenden sollten sich also fragen, was ihre Kunden jetzt erheitert und nicht, wie kann ich meine Marke durch Werbung in ein noch besseres Licht rücken.
“Die Leute brauchen jetzt Seelennahrung”
Hein Grüne im Interview mit Getränke News
Welche Chancen, Potenziale und Risiken gibt es aktuell für Getränkemarken?
Die größte Gefahr ist, seine Marke irrelevant zu machen, weil man den Kontakt zu den Verbrauchern verliert. Wer jetzt den Leuten mit seiner Marke „ein Licht gibt, das sie sich ins Fenster stellen können“, wer also klug wirbt, hat große Chancen, seine Marke zu stärken. Denn Beziehungen, die in Krisen entstehen, werden meist besonders innig und halten lange. Das gilt auch für die Beziehung zu Marken.
Auf welche Entwicklungen nach der Krise sollten sich die Getränkehersteller einstellen?
Wir sollten uns darauf einstellen, dass es noch lange dauern wird, bis wir wieder in der Normalität ankommen. Jeder sollte einen Plan B und eine zweite Idee entwickeln, um diese Krise lange überstehen zu können.
Heinz Grüne ist seit 1988 Geschäftsführer bei rheingold.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Erforschung der digitalen Medien sowie ihrer Auswirkungen auf den Alltag, in der Betrachtung der Seniorenkultur und der Konsumpsychologie von Lebensmitteln, mit dem Schwerpunktthema Bier.
Tel.: +49 221-912 777-56
E-Mail: gruene@rheingold-online.de