Das Schwenken von Deutschlandfahnen zu Zeiten der AfD

AfD und die Deutschlandflagge

Wie unbeschwert können wir noch die schwarz-rot-goldenen Farben schwenken, wenn die AfD die Nationalflagge immer mehr politisch instrumentalisiert? Ein Interview im Magazin „Stern“ mit dem Psychologen Stephan Grünewald.

Das Interview erschien am 21. Juni 2018 im stern.

Herr Grünewald, jetzt schwenkt die Fußballnation wieder die Fahnen. Zugleich versucht die AfD, Schwarz-Rot-Gold für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Wie ist das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Flagge?

Das Verhältnis zur Flagge ist ambivalent. Die Deutschen haben kein fest verankertes Selbstbild wie die Briten, Franzosen oder Amerikaner. Die Deutschen sind immer auf der Suche nach sich selbst. Bis zur WM 2006 hatten wir ein sehr distanziertes Verhältnis zu Schwarz-Rot-Gold, gerade in den linksintellektuellen Kreisen war es verpönt, sich offen zu Deutschland zu bekennen, die Fahne zu schwenken. Mitunter galt es sogar als chic zu Holland zu halten. Man suchte unschuldige Ersatzsymbole: die D-Mark, die deutsche Autos, auch die Nationalmannschaft, das waren Identitätsurogate zu denen man sich bekennen konnte.

Dann kam die Fußballweltmeistershaft 2006, das Sommermärchen

Ja, da es sich gedreht: Bis dahin dominierte die Angst, in tumben Nationalismus zurückzufallen. Das befreiende Erlebnis 2006 war: Wir waren wunderbare Gastgeber, aber auch enthusiastische Fans, mit gehissten Flaggen und schwarz-rot-goldener Kriegsbemalung, aber ohne unsere Liebenswürdigkeit zu verlieren. Wir wurden in der Welt als charmante Gastgeber gefeiert.

War das eine Befreiung?

Das Damoklesschwert, dass deutsche Leidenschaft, dass patriotische Gefühle immer zu Entgleisungen führen, war von da an von uns genommen. Die WM war eine Lockerungsübung. Seitdem erleben wir einen unbeschwerten Umgang mit Schwarz-Rot-Gold. 

Aber seit einiger Zeit wird die Nationalflagge auch stark von Pegida und der AfD genutzt. Zuletzt bei einer großen Demonstration in Berlin.

Aus der Unbeschwertheit von 2006 ist bei einigen eine vollkommene Ungeniertheit geworden. Schwarz-Rot-Gold wird zum Herrschaftssymbol. Da wird ein völkischer Raum reklamiert, der uns gehört. Durch diese Politisierung kommt nun eine andere Schwere hinein. Die Politisierung führt jetzt zu einer Polarisierung.

Was meinen Sie damit?

Für die einen ist Schwarz-Rot-Gold das Zeichen: Wir sind das Volk – und das ist unsere Flagge. Die Fahne wird geradezu zum Muss. Das sind auch die, die darauf achten, ob Özil die Hymne mitsingt.

Und die anderen?

Für die anderen bekommt Schwarz-Rot-Gold wieder eine nationalistische Aufladung, von der man sich distanzieren möchte, obwohl man in den vergangenen zehn Jahren eigentlich gerne mitgeschwenkt hat. Bei einigen merkt man Tendenzen zur “Fahnenflucht”: Wir lassen die Flagge lieber im Keller, um nicht die nationalistischen Gefühle zu schüren. Manche fürchten ins Bedeutungsfahrwasser der AfD zu geraten. 

Die AfD gibt ja durchaus Anlass dazu. Auf den Plakaten prangt “Mut zu Deutschland” – und dahinter eine riesige Flagge in Schwarz-Rot-Gold.

Jede Parteiung braucht ihre Symbole. Aber es gelingt nicht, gegenläufige Strömungen hinter den gleichen Symbolen zu versammeln. Diese Spannungen spüren wir gerade. Der Sommer 2018 wird weniger unbeschwert als der Sommer 2006.

Das Interview führte Lorenz Wolf-Doettinchem.

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