Dieser Artikel erschien am 15. Oktober 2019 bei planung&analyse.
Stärker als das Thema Generationenkonflikt bewegt die Gen Z das eigene Erwachsenwerden, das heute schwerer zu bewerkstelligen ist als früher.
Die Generation Z lebt heutzutage oft bis Mitte 20 in einem behüteten Spieleparadies: Stärker als frühere Generationen erleben sie eine Vollversorgung und Überbehütung. Die Eltern sind meist tolerant und fürsorglich. Nicht nur bei der Freizeitgestaltung oder Urlaubsplanung räumen sie ihren Kindern ein Mitspracherecht ein. Mangelerfahrungen und autoritäre Einschränkungen kennen die meisten Jugendlichen daher aus der analogen Welt nicht. Und in der digitalen Welt mit ihren Games und sozialen Netzwerken können sie spielerisch 24/7 ihre Kreativität austoben.
Zu den Eltern besteht häufig eine enge Verbundenheit. Die Jugendlichen stellen die elterlichen Werte meist nicht in Frage. Sie pflegen vielmehr das Ideal einer heilen Familie, die sich versteht und beständig zusammenhält, gerade weil sie stets die Gefahr sehen, dass in einer brüchigen Welt auch die eigene Familie auseinanderbrechen kann.
“Familie ist das Wichtigste.”
Die Jugendlichen mögen ihre Eltern zwar, sie erleben sie aber auch als freudlos und tendenziell zwanghaft. Sie sehen sie als eine „graue Anzug-Instanz“, die alles regelt, erfüllt, beschafft, aber dabei ohne Spaß vor sich hinlebt und arbeitet. Das Leben der Eltern ist sozusagen von einer Betreffzeile bestimmt, von einer steten Zweckgebundenheit: immer muss es um etwas Bestimmtes gehen, was vorher festgelegt, dann lange vorbereitet wird und somit konsequent verfolgt werden muss. Sie konzentrieren sich stets auf ein bestimmtes Ziel, wertschätzen, was sie haben und wollen unbedingt daran festhalten. Selbst die Mails der Eltern haben immer einen Betreff und damit einen definierten Anlass und ein Thema. Einfach mal ein unbestimmtes Hallo in den Freundeskreis zu posten und abzuwarten, was sich daraus entwickelt, scheint den Eltern fremd oder suspekt zu sein.
“Die müssen auch immer ein Thema haben, um zu schreiben. Wir sagen oft einfach nur Hallo.”
Erwachsenwerden bedeutet daher für die Generation Z einen radikalen Wechsel vom behüteten Spieleparadies zur finsteren Zweckgebundenheit des Lebens. Zumal die eigenen Ansprüche an dieses Leben extrem hoch sind: auf jeden Fall will man erfolgreich sein und viel Geld verdienen; am besten als Startup-Millionär oder als Influencer mit unzähligen Followern. Aber der Weg dorthin ist vielen Jugendlichen unklar und wenig eingeübt. Entsprechend groß ist die Angst unterwegs zu scheitern. In den Tiefeninterviews mit Jugendlichen tauchen neben den Erfolgsstorys auch immer wieder die Schreckensbilder von Verarmung, Alleinsein und Drogenmissbrauch auf. So wird der Auszug aus dem Elternhaus oft weniger als Befreiung erlebt, sondern als eine unausweichliche Vertreibung aus dem Paradies.
In diesem Dilemma entwickelt die Gen Z verschiedene Strategien:
Strategie 1: Ich bin doch schon erwachsen
Vor allem gegenüber ihren jüngeren Geschwistern grenzen sich die 17-22jährigen demonstrativ ab. Denn im Vergleich mit ihnen erscheinen die 12 -16jährigen als unmündig und als abhängig vom Smartphone. Indem sie die Jüngeren kritisieren, ständig arglos im Netz abzuhängen, reklamieren sie für sich die bereits erwachsene Position der Vernunft und der Belehrung. Mitunter treten sie noch elterlicher als die Eltern auf, wenn sie die Eltern dazu auffordern, die jüngeren Geschwister stärker zu disziplinieren.
„Die Jüngeren hängen immer früher nur noch am Handy und gehen gar nicht mehr raus. Die Eltern sollten das einschränken.“
Strategie 2: Große weite Welt statt Welt der Großen
Vor dem ultimativen Schritt ins Erwachsensein wollen viele Jugendliche eine längere Weltreise machen. Dieses Moratorium wird dabei als eine Art Reifeprüfung dargestellt, denn es gilt, möglichst weit von zuhause weg zu sein und in z.B. Afrika, Australien oder Neuseeland in eine Konfrontation mit der ‚rauen Wirklichkeit‘ zu treten. Oft ausgeblendet wird dabei, dass die Eltern dabei eine wichtige Back Up-Position haben. Sie sollen die Reise mitorganisieren und mitfinanzieren, per Skype immer abrufbar sein und im Notfall eine Rückholaktion starten.
„Für die ältere Generation ist das völlig neu, dass sich jemand vor die Kamera setzt und einfach redet, diese Betrachtungsweise hat die jüngere Generation gar nicht mehr, das ist für uns völlig normal.“
Strategie 3: Chillen als stationäre Tagtraumreisen
Vor allem das Chillen ist bei den Jugendlichen sehr beliebt. Denn es entbindet eine Zeit lang von allen Pflichten. Die unbeschwerten Phasen des seligen Nichtstuns vermitteln zudem ein Gefühl kuscheliger Aufgehobenheit und Geborgenheit. Und in diesen gemütlichen Sphären können die Jugendlichen genüsslich austräumen, was aus ihnen Tolles werden wird, wenn sie dann doch irgendwann aufstehen und erwachsen werden.
„Die ältere Generation kann nicht chillen.“
Strategie 4: Augen zu und durch
Den Ängsten vor dem Erwachsenwerden können die Jugendlichen aber auch mit einer finsteren Entschlossenheit begegnen. Sie tunneln sich regelrecht ein, fokussieren ihr Ziel und entwickeln eine ungeahnte Gradlinigkeit. Um sich nicht vom Erfolgsweg abbringen zu lassen, schauen sie weder nach links noch nach rechts. Askese und Kontrolle sollen gewährleisten, dass man Schule, Studium, Praktikum oder Ausbildung durchhält. Das eigentliche Leben wird auf später verschoben.
Strategie 5: Influencer als Entwicklungshelfer
Häufig übernehmen Influencer die Funktion eines großen Bruders oder einer großen Schwester. Sie zeigen durch ihr Vorbild, wie man im Leben weiterkommen kann. Vor allem durch ihre Unperfektheit, durch ihre geteilten Fails und Misserfolge wirken sie nicht nur ehrlich und authentisch, sondern auch entlastend und ermutigend für die Generation Z. Denn sie vermitteln die Zuversicht, dass trotz partiellem Scheitern langfristig etwas gelingen kann.