Dieser Artikel erschien am 13. August 2019 bei planung&analyse.
Generation Z verstehen
Wie tickt die Generation Z? Die heutige Jugend präsentiert sich smart, kreativ und selbstbewusst. Als Digital Natives sind sie mit Google, Instagram und Netflix groß geworden. Analog und Digital sind für sie keine Gegensätze mehr, sondern verschwimmen zu einer konsistenten Realität. Aber was bestimmt das Lebensgefühl der Generation Z? Was sind ihre Träume, ihre Vor- oder Feindbilder und ihre unbewussten Lebensstrategien? Das rheingold-Institut geht in einer neuen Forschungsreihe auf Basis von tiefenpsychologischen Interviews und Handy-Tagebüchern mit jungen Menschen zwischen 13 und 22 Jahren dieser Frage nach.
Chillen oder der Fluch des Paradieses
Die Gen Z hat größtenteils paradiesische Startbedingungen. Sie machen nicht die Mangelerfahrungen früherer Kriegsgenerationen. Sie wachsen in sicheren Verhältnissen auf. Ihre Eltern sind meist tolerant und verständnisvoll. Sie kennen daher auch nicht die Sehnsucht sich aus engen, bornierten und autoritären Verhältnissen zu befreien wie die Generation um 1968. Vorschnelle Emanzipation vom Elternhaus erscheint ihnen angesichts der bequemen Versorgungsleistungen des Hotels Mama als wenig lebenspraktisch.
Die Gen Z wächst in einer Bereitstellungs-Kultur auf, in der scheinbar alles vorgegeben ist und in der alles möglich erscheint. Allein der Blick auf die Unterhaltungsangebote zeigt eine exponentielle Entwicklung. Es gibt nicht nur mehr als hundert Fernseh-Sender, die 24 Stunden senden, sondern auch Mediatheken, die Tag und Nacht abrufbar sind. Streamingplattformen wie Netflix oder amazon prime erlauben den Zugriff auf Tausende von Spielfilmen. Auf Youtube gibt es unzählige Kanäle, auf denen man sich rund um die Uhr von Gleichaltrigen durch den Alltag führen lassen kann. Und das Smartphone fungiert als moderne Allzweckwaffe im täglichen Kreuzzug gegen die Langeweile. Mit einem magischen Fingerwisch lassen sich Kontakte aktivieren, Wissenslücken schließen, Partner finden oder Spiele starten.
Die Kehrseite dieser berauschenden Zauberwelt des ‚alles ist möglich‘, ist ein ungeheurer Erwartungsdruck, der auf der Generation Z lastet: Alles, was an Chancen und Optionen bereitgestellt wird, kann und muss aufgegriffen werden. Langeweile, Einsamkeit, Lehrjahre, Erfolglosigkeit oder Mittelmäßigkeit sind tabuisiert. Sie träumen daher davon, „eine tolle Karriere mit einem Start-up-Unternehmen“ hinzulegen oder schnell „als Youtuber bekannt“ zu werden. In Zukunft wollen sie „ein luxuriöses Leben wie die Geißens“ führen oder „den Planeten schützen“ und „eine bessere Welt bauen“.
Angesichts dieses Drucks eigener und fremder Turboerwartungen fällt es der Gen Z mitunter schwer, Entscheidungen zu treffen und eine bestimmte Entwicklungsrichtung einzuschlagen. Denn jede Entschiedenheit begrenzt das Paradies des Möglichen und birgt das Risiko zu scheitern. Groß ist daher ihre Sehnsucht nach druck- und zweckfreien Spielräumen. Diese finden sie in den Parallelwelten des Internets, wenn sie z.B. stundenlang Minecraft spielen.
Vor allem das Chillen ist für die Jugendlichen in dreifacher Hinsicht ein erlösender und unbeschwerter Übergangs-Zustand. Mit ihrer demonstrativen Trägheit rebellieren sie gegen den eigenen und den fremden Erwartungsdruck. Sie schaffen eine Auszeit, in der nichts nötig erscheint und in der das Alltagsleben für einen langen Augenblick stillzustehen scheint. Gleichzeitig mummeln sie sich – armiert mit Handy oder IPad – in einen gemütlichen Kokon der medialen Rundumversorgung ein. Und in diesem Gefühl umhegter Aufgehobenheit und Geborgenheit träumen sie genüsslich aus, was alles Tolles aus ihnen werden könnte, wenn sie sich dann irgendeinmal doch aufraffen und für einen Weg entscheiden sollten.
Insgeheim sind die Jugendlichen froh, wenn die Erwachsenen ihnen beim Übergang vom Chillen in die tätige Alltäglichkeit helfen. Bereitwillig greifen sie feste Strukturen und Termine auf – ganz gleich ob es der Vereinssport, ein Fitness-Studio oder ein Sprachkurs ist. Mit mürrischer Dankbarkeit freuen sie sich über übertragene Aufgaben im Haushalt. Temporäre Handy-Beschränkungen erleben sie als Entlastung. Und die Botschaft, dass sie auch geliebt werden, wenn sie nur mittelmäßig sind, erleben sie als Erlösung.
Der Psychologe Stephan Grünewald aus Köln ist Gründer des Markt- und Medienforschungsinstituts rheingold. Grünewald wurde u.a. mit den Büchern „Deutschland auf der Couch“ (2006) und „Die erschöpfte Gesellschaft“ (2013) sowie “Wie tickt Deutschland” (2019) Bestseller-Autor.
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