Wie ticken wir beim Einkaufen?
Ein kundenzentriertes Denken und Handeln ist für Industrie und Handel seit jeher die wichtigste Prämisse für die Weiterentwicklung und damit Zukunftssicherung. Doch wer sind unsere Kund:innen und welche (latenten) Bedürfnisse umtreiben sie? Was in der Online-Welt jederzeit möglich ist, nämlich die Nachverfolgung des Klickverhaltens entlang der gesamten Customer Journey, ist beim stationären Einkauf kaum und nur mit größeren Investitionen und Interpretationsspielraum möglich.
Das stationäre Geschäft als Black Box? Scheitern wir an hybriden Shoppern, die nicht fassbar sind und müssen wir notgedrungen auf undifferenzierte Zielgruppen (wie zum Beispiel die Convenience-Käufer:innen) ausweichen? Nein. Um die Kund:innen besser verstehen zu können, lohnt sich ein Schritt zurück. Nicht der isolierte Einzelproduktkauf oder ein einzelner Warenkorbtypus charakterisiert die Shopper, sondern der ganze Prozess beginnend mit dem ersten Gedanken bei der Entstehung des Bedürfnisses – sozusagen des «Reason to buy».
Chancen zur Profilierung entlang der Shopper Journey
Deshalb haben wir in der nun vorliegenden Studie nicht nur das Ergebnis (den Warenkorb), sondern den Ursprung und die Reise eines Einkaufs betrachtet. Nicht aus Produktsicht (Customer Journey), sondern aus Kundensicht (Shopper Journey). Entlang einer Shopper Journey eröffnen sich auch sehr viele Chancen zur Profilierung – nicht erst am Regal, sondern bereits im Wohnzimmer. Und: nicht mit der Gießkanne, sondern mit dem Wissen einer Tante Emma.
Wir haben den Menschen in zahlreichen Inhome-Interviews zugehört, sie bei ihren Einkäufen begleitet und schließlich unsere Bilder der Shopper Journey über eine repräsentative quantitative Befragung geschärft. Damit liegt uns eine fundierte Datengrundlage vor (vgl. Abb. 1).
Wir haben insgesamt sieben charakteristische Shopper Journeys identifizieren können, die wir in der Studie anhand einer Touchpoint-Analyse im Detail beschreiben (vgl. Abb. 2). Die Ansprache der einzelnen Journeys kann und sollte (nicht nur im stationären Handel) sehr gezielt erfolgen.
Interessant ist dabei, dass viele Kund:innen ihren Kaufakt gedanklich Tage bis hin zu Wochen vor dem eigentlichen Einkaufsgang beginnen. Insbesondere beim wiederkehrenden Wocheneinkauf und dem besonderen Projektkauf findet eine intensive Planungs- und Vorbereitungsphase statt. Dies eröffnet ein Zeitfenster, währenddessen Kund:innen bespielt und gewonnen werden können.
Großes Online-Potenzial für die Basis Shopper Journey
Betrachtet man die Warenkörbe und die Häufigkeit der einzelnen Journeys, so lassen sich diese in Basis- und Zusatz-Journeys einteilen (vgl. Abb. 3). Basis-Journeys weisen einen hohen Anteil an Pflichterfüllung bzw. Routinisierung und eine hohe Häufigkeit aus – interessanterweise gehört auch der gezielte Ergänzungskauf dazu (42% geben an, 1-2-mal pro Woche einen entsprechenden Ergänzungskauf zu tätigen; bei Wocheneinkauf sind es 54%, beim Bedarfskauf 34%).
Wenig überraschend fällt das Online-Potenzial für die Basis-Journeys relativ gesehen am höchsten aus. Hier winkt eine Entlastung. Das heißt aber auch im Umkehrschluss für den stationären Handel: Es sind kreative Lösungen anzudenken, wie die Basis-Journeys wieder an Attraktivität gewinnen. Pflichteinkäufe sind meistens mit wenig positiven Emotionen verbunden und werden damit schnell ersetzbar, wenn ihnen kein Mehrwert hinzugefügt wird. Demgegenüber werden Zusatz-Journeys deutlich öfter im stationären Umfeld getätigt. Das multisensorische Erlebnis steht hier im Vordergrund. Von der Atmosphäre, über die Beratung bis hin zum Ausprobieren vor Ort.
Wenig überraschend verfolgt ein und dieselbe Person regelmäßig unterschiedliche Shopper Journeys. Je nach Auftrag, Gefühlslage oder auch empfundener Notwendigkeit. Das Verständnis der einzelnen Shopper Journey und die optimale Ausgestaltung der Touchpoints stellen eine wichtige Basis für das kundenzentrierte Denken und Handeln dar.
Spontaner Lustkauf in der Shopper Journey
So bedeutet zum Beispiel Customer Experience für eine Person, die einen spontanen Lustkauf verfolgt, etwas komplett anderes als für die wiederkehrenden Wocheneinkäufer*innen. In den aktuellen Experience-Diskursen werden die Shopper Journeys oft nicht differenziert betrachtet. Das hat dann unter Umständen zur Folge, dass Ergänzungskäufer*innen inspirative Impulse angeboten werden, die ihnen in ihrer Journey eher hinderlich sein können. Es ist auch sinnvoll, die Ergänzungskäufer*innen nicht durch den ganzen Laden lotsen zu wollen, nur um einen Impulskauf zu generieren. Das Ärgerpotenzial wiegt schwerer als der Zusatzkauf. Außerdem werden sie diesen Painpoint bewusst oder unbewusst abspeichern und im schlechtesten Fall ihren wiederkehrenden Wocheneinkauf anderswo in Erwägung ziehen. Damit wäre dann deutlich mehr verloren als gewonnen.
Die Herausforderung liegt also darin, die Shopper in ihrem jeweiligen Einkaufsakt und der dazugehörigen Stimmung abzuholen und bestmöglich ihren Bedürfnissen und Erwartungen zu entsprechen. Hierzu ist es zentral, die Touchpoints zu kennen, um diese zielgerichtet bespielen zu können. Mit Touchpoints sind nicht nur die medialen Kontaktpunkte gemeint (u.a. Social Media), sondern alle Berührungspunkte zwischen der Kundschaft und den Händlern entlang aller Einkaufsphasen – so zum Beispiel auch die Parkplatzsituation, das Sortiment bis hin zur Produktverwendung zu Hause. Wir haben insgesamt 38 Touchpoints identifiziert und die Relevanz für die einzelnen Journeys ausgewiesen.
Relevante Touchpoints in der Shopper Journey
So entstehen unterschiedliche Perlenketten – also unterschiedliche Aneinanderreihungen von Touchpoints – pro Journey, die es bei der Ansprache der jeweiligen Kundinnen und Kunden zu berücksichtigen gilt. Für sie zählt dabei nicht die einzelne Bewegung mit dem Händler bzw. Hersteller, sondern der Gesamteindruck entlang der Journey. Deshalb ist es wichtig, die relevanten Touchpoints zu kennen und diese in einer attraktiven und einheitlichen Sprache bzw. mit einem profilierten Leistungsmix zu bespielen. Und: Der Einkauf ist an der Kasse nicht abgeschlossen. Die Nachwirkung erstreckt sich oft bis zur Konsumsituation – z. B. wenn die Produkte in einer ruhigen Minute mit viel Genuss zelebriert werden. Oder im suboptimalen Fall, wenn die Verpackung sich nur mühsam öffnen lässt.
Damit legen wir mit der Studie eine Grundlage für den stationären Handel und die Industrie, ihre Kund:innen besser zu verstehen und Ansatzpunkte zu finden, um sich gezielter zu profilieren. Ein Mehrwert entsteht sowohl für das Shopper Marketing (gezielte Ansprache der Touchpoints), die Total Store Abteilung (Gestaltung des Ladenlayouts), als auch für das Category Management (unterschiedliche Relevanz der Kategorie je Journey).
Sebastian Buggert ist Diplom-Psychologe und Mitglied der Geschäftsführung bei rheingold. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Handel, die Medien sowie die Dienstleistungs- und Finanzwirtschaft. Er ist Experte im Bereich Digitalisierung und beschäftigt sich seit langer Zeit intensiv mit den Einflüssen bzw. Chancen des digitalen Wandels sowohl für die Märkte als auch für die qualitative Marktforschung.
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