Wie tief sitzt die Angst vor der Krise?

Analyse der Krisen-Ängste

Energiekrise, Klimakrise, Krieg und Pandemie ohne Ende – es gibt viel, was die Menschen momentan verunsichert. Die Regierenden versuchen, zu beruhigen. Einige ihrer Gegner mobilisieren für einen „Wut-Herbst“ 2022. Wie ist die Stimmung tief in der Bürgerseele? Psychologe Stephan Grünewald hat rbb24 Inforadio-Redakteur Christian Wildt beschrieben, dass die Krise nur langsam bei den Menschen ankommt.

Das Interview erschien am 22. September 2022 im rbb-inforadio.

Das Kölner rheingold Institut fragt immer wieder intensiv nach, wie es den Menschen geht. Institutsgründer und Psychologe Stephan Grünewald sieht gerade ein Gespenst der Ungewissheit hinter bundesdeutschen Gardinen. Momentan würden wir uns in einem Übergangszustand befinden: „Viele versuchen noch den Sommer und die Selbstvergessenheit, die Unbeschwertheit, die man im Sommer zelebriert hat, noch in den Herbst, in den September rein zu retten. Die Krise ist aber auch deswegen unbestimmt, weil uns die Menschen in den Tiefeninterviews sagen, ja sie ahnen, das wird ganz beschwerlich, aber die meisten haben noch nicht die Heizkostenabrechnung bekommen. Und von daher haben sie überhaupt keine konkrete Erfahrung, was da auf sie zukommt. Und da gibt es dann ganz viele diffuse Befürchtungen, von der kalten Wohnung bis zum kompletten Blackout.

„Das konkrete Ausmaß der Krise erschließt sich den Menschen noch nicht.“

Stephan Grünewald

Eskalierende Wirklichkeit

Die Sorgen haben mit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bei vielen Menschen massiv zugenommen. Der Psychologe Grünewald sagt, die Menschen hätten das Gefühl gehabt, dass eine eskalierende Wirklichkeit in ihren Alltag einbricht. Man habe nicht absehen können, ob es zu einem Weltkrieg oder einem Flächenbrand kommt. Nach einer ersten Phase, in der sich die Menschen viel über den Krieg informiert hätten, hätten sie diesen im Mai schon weitgehend ausgeblendet. Laut einer Studie des rheingold Instituts hätten die Menschen über die Monate auch ihr Nachrichtenverhalten radikal geändert. Viele hätten überhaupt keine Nachrichten mehr geguckt oder nur noch den Videotext – ohne Bilder – eingeschaltet. Das Grundgefühl einer gewissen Unsicherheit sei aber geblieben.

Solidarische Mehrheit

Laut dem Psychologen Grünewald gibt es eine große Solidarität in der Bevölkerung. Nur eine Gruppe, mit einem Anteil von etwa 15 bis 20 Prozent an der Bevölkerung, verfalle in einen kindischen Trotzmodus und mache pauschal die Politik für die aktuelle Lage verantwortlich. Diese Gruppe werde sicherlich auch auf die Straße gehen und protestieren. Die Mehrheit der Bevölkerung erlebe man derzeit als solidarisch.

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