Angst vor sozialer Entzweiung – Verbundenheit in Deutschland in der Krise

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht, immer mehr Menschen in Deutschland erleben einen Verlust von Verbundenheit – mit der Gesellschaft, der Politik und Menschen außerhalb des eigenen Nahbereichs. 87 %* nehmen eine wachsende Trennung und Vereinzelung in der Gesellschaft wahr, die sie besorgt. (2023 haben dieser Aussage nur 83 % der Menschen zugestimmt.)

Ganze 89 % stimmen zu, dass unsere Gesellschaft gespalten und ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ verloren gegangen ist. Und nur noch 9 % * der Menschen glauben, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in den nächsten zehn Jahren verbessern wird. (Im Jahr 2023 waren das noch 17 %.)

Sehnsucht nach verbindendem Miteinander

Der Krise der Verbundenheit und den damit oft einhergehenden Verlorenheitsgefühlen zum Trotz gibt es eine starke Sehnsucht nach einem verbindenden Miteinander. 95 % der Befragten stimmen zu, dass wir angesichts der weltpolitischen Lage wieder mehr Zusammenhalt in Deutschland brauchen. Und 77 % geben an, sich mehr echte Gemeinschaftserlebnisse zu wünschen – auch mit Menschen, die anders denken als sie.

Soziales Misstrauen, stille Entfremdung

Das sind zentrale Erkenntnisse der Studie zur „Verbundenheit“, die das auf tiefenpsychologische Forschung spezialisierte rheingold Institut 2025 im Auftrag der Düsseldorfer Stiftung für Philosophie, Identity Foundation, durchgeführt hat. Für die Untersuchung zur Verbundenheit in Deutschland wurden 32 zweistündige Interviews geführt und 1.001 Menschen in einer Online-Befragung bevölkerungsrepräsentativ befragt.

Die Studie zeigt ein brüchiges Bild des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Das Land durchlebt eine „einen erschreckenden Mangel der Verbundenheit“, konstatiert Paul Kohtes, Vorsitzender der Stiftung. Soziales Misstrauen, stille Entfremdung und mangelnde Zuversicht prägen das Erleben. Alarmierend ist auch der Vertrauensverlust in die Politik und die öffentlich-rechtlichen Medien, die ja eine gemeinsame Perspektive schaffen sollen. Nur noch 47 % der Bevölkerung geben an, dass sie Vertrauen in die Anbieter öffentlich-rechtlicher Nachrichten haben. Und nur ein Drittel der Menschen (34 %) vertrauen noch den demokratischen Institutionen.

Rückzug aus beunruhigender Außenwelt

Die Gründe für diese Krise der Verbundenheit ergeben sich vor allem aus einer gewachsenen Selbstbezüglichkeit. Angesichts der Vielzahl der derzeitigen Krisen ziehen sich viele Menschen in kleine Kreise zurück und versuchen sich von der beunruhigenden Außenwelt abzuschotten. Über alle Altersgruppen hinweg wird ein zunehmendes Gefühl von Unsicherheit beschrieben, sowohl im öffentlichen Raum wie auch in politischen und sozialen Fragen. Nur 28 % der Menschen fühlen sich derzeit im öffentlichen Raum sicher.

Auch im Digitalen kommt es zu sozialen Bollwerken: die Gemeinschaften werden immer hermetischer und bilden eine Wagenburg-Mentalität aus. Menschen aus dem sozialen Umfeld, die anstrengend oder anderer Meinung sind, werden oft aussortiert und gemieden. 84 % der Befragten stimmen zu, dass Menschen mit unterschiedlichen Meinungen kaum noch aufeinander zugehen. „Für eine Demokratie, die auf der Fähigkeit zum Gespräch und zum Perspektivwechsel baut, ist diese Entwicklung besorgniserregend“, warnt der Psychologe Stephan Grünewald, Gründer des rheingold Instituts.

Kehrseite der mangelnden Offenheit und Gesprächsbereitschaft ist eine wachsende aggressive Gespanntheit. 89 % (2023: 84 %) empfinden das Miteinander in der Gesellschaft als aggressiv, die Spannungen entladen sich in den Augen der Menschen immer öfter in verbalen Angriffen.

Manifestationen von Verbundenheit im Alltag

Trotz solcher krisenhaften Erkenntnisse gibt es zahlreiche Manifestationen von Verbundenheit im Alltag. Ein starkes Verbundenheits-/ Gemeinschaftsgefühl erleben 85 % mit der Familie und 83 % mit dem eigenen Freundeskreis. 67 % der Befragten erleben ein starkes Verbundenheitsgefühl mit der Natur und dem Planeten. Menschen beschreiben in den Tiefeninterviews, wie sie sich durch gemeinsames Engagement verbunden fühlen – beispielsweise in der Nachbarschaft, in Vereinen oder politischen Initiativen.

Mangelnde Verbundenheit gefährdet die Demokratie

Die Sehnsucht nach Verbundenheit wird jedoch in den Augen der Menschen kaum gesellschaftlich kanalisiert. Derzeit stimmen nur 24 % zu, dass die Gesellschaft in Deutschland in Zukunft wieder mehr zusammenwächst. „Mangelnde Verbundenheit kann auf Dauer unsere freiheitliche Demokratie gefährden“, sagt Stephan Grünewald. So ein soziales Misstrauen mache die Menschen anfällig für „totemistisches Stammesdenken“ wie es zurzeit in den USA zu beobachten sei.

Doch führe dieser Weg zunehmend in destruktiv-abschottende Strukturen, die dem Entstehen umfassenderer und in der Breite integrierender Verbundenheiten entgegenstehen. Die globalen Krisen wirkten dabei wie Brandbeschleuniger, so der Psychologe. Politik und Gesellschaft stünden vor der Frage, ob und wie sich dieser Erosion gesellschaftlicher Verbundenheit Einhalt gebieten lässt und ob es Möglichkeiten einer Transformation gibt.

Stichprobe und Methode:

Die Verbundenheitsstudie wurde vom rheingold Institut im Januar 2025 im Auftrag der Identity Foundation durchgeführt. Ziel war es, Verbundenheit in ihrer privaten, gesellschaftlichen und politischen Dimension zu untersuchen: Wo erleben Menschen in Deutschland heute noch Verbundenheit – und wo nicht mehr? Wie entsteht Verbundenheit, wie fühlt sie sich an, welche Bedingungen begünstigen oder verhindern sie?

Qualitativer Teil: 32 zweistündige Tiefeninterviews mit Personen zwischen 18 und 65 Jahren aus ganz Deutschland. Auswahl nach Alter, Geschlecht, Bildung, regionaler Herkunft und politischer Orientierung.

Quantitativer Teil: Online-Befragung von 1.001 repräsentativ ausgewählten Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland. Die Stichprobe wurde nach Alter, Geschlecht, Bundesland und politischer Einstellung quotiert.

Die quantitative Erhebung basiert auf einem Fragebogen, der auf Basis der psychologischen Tiefeninterviews entwickelt wurde.

Der Fragebogen wurde im März 2025 beantwortet.

Die Vergleichswerte aus dem Jahr 2023 beziehen sich auf die Zuversicht-Studie, die ebenfalls vom rheingold Institut für die Identity Foundation durchgeführt wurde. Durch die gleiche Grundgesamtheit konnten die Vergleichbarkeit sichergestellt und Zeitvergleiche ermöglicht werden, indem ein Teil der Fragen vom rheingold Institut erneut erhoben wurde.

*Top 2 Wert = „Stimme voll und ganz zu“ und „Stimme eher zu“

Die Ergebnisse im Detail/Langfassung:

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht, immer mehr Menschen in Deutschland erleben einen Verlust von Verbundenheit – mit der Gesellschaft, der Politik und Menschen außerhalb des eigenen Nahbereichs. 87 % (Top 2 Wert*) nehmen eine wachsende Trennung und Vereinzelung in der Gesellschaft wahr, die sie besorgt. 2023 haben dieser Aussage 83 % der Menschen zugestimmt. Ganze 89 % stimmen zu, dass unsere Gesellschaft gespalten und ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ verloren gegangen ist. Lediglich 9 % (Top 2 Wert*) der Menschen glauben, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in den nächsten zehn Jahren verbessern wird. Im Jahr 2023 waren es noch 17 %.

Alarmierend ist auch der Vertrauensverlust in die Politik und die öffentlich-rechtlichen Medien, die ja eine gemeinsame Perspektive schaffen sollen. Nur noch 47 % der Bevölkerung geben an, dass sie Vertrauen in die Anbieter öffentlich-rechtlicher Nachrichten haben. Und nur ein Drittel der Menschen (34 %) vertrauen den demokratischen Institutionen.

Das sind zentrale Erkenntnisse der Studie zur „Verbundenheit“, die das auf tiefenpsychologische Forschung spezialisierte rheingold Institut 2025 im Auftrag der Düsseldorfer Stiftung für Philosophie, Identity Foundation, durchgeführt hat. Für die Untersuchung zur Verbundenheit in Deutschland wurden 32 zweistündige Interviews geführt und 1.001 Menschen in einer Online-Befragung bevölkerungsrepräsentativ befragt.

Sie zeigt ein brüchiges Bild des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Das Land durchlebt eine „einen gravierenden Mangel an Verbundenheit, insbesondere im öffentlichen Raum – was auf einen starken Vertrauensverlust hinweist“, konstatiert Paul Kohtes, Vorsitzender der Stiftung. Soziales Misstrauen, stille Entfremdung und mangelnde Zuversicht prägen das Erleben.

„Ich will mich nicht mehr aufregen, ich kümmere mich nur noch um mich und um meine Familie.“
(35 Jahre, weiblich)

Die Gründe für diese Krise der Verbundenheit liegen vor allem im Rückzug auf den persönlichen Raum. Angesichts der Vielzahl der derzeitigen Krisen ziehen sich viele Menschen ins Private zurück und versuchen sich von der beunruhigenden Außenwelt abzuschotten. Schutz, Kraft und Geborgenheit suchen die Menschen vor allem in kleinen, aber engen sozialen Kreisen aus Gleichgesinnten. 

Digitale Bollwerke werden hermetischer

Auch im Digitalen kommt es zu einer sozialen Bollwerk-Mentalität: die Gemeinschaften werden immer hermetischer und bilden eine Wagenburg-Mentalität aus. Menschen aus dem sozialen Umfeld, die anstrengend oder anderer Meinung sind, werden oft aussortiert und gemieden. 84 % der Befragten stimmen zu, dass Menschen mit unterschiedlichen Meinungen kaum noch aufeinander zugehen. „Für eine Demokratie, die auf der Fähigkeit zum Gespräch und zum Perspektivwechsel baut, ist diese Entwicklung besorgniserregend“, warnt der Psychologe Stephan Grünewald, Gründer des rheingold Instituts.

Vor allem in der Gruppe der 18-29-Jährigen ist zu beobachten, dass sie Konflikte vermeiden und nach außen hin eine möglichst unauffällige Haltung bewahren, um sich nicht angreifbar zu machen. Diese Tarnkappen-Mentalität zeigt sich auch darin, dass 48 % der jungen Generation zustimmen, dass sie ihre Meinung nicht offen sagen, weil sie Kritik befürchten.

Kehrseite der mangelnden Offenheit und Gesprächsbereitschaft ist eine wachsende aggressive Gespanntheit. 89 % (2023: 84 %) empfinden das Miteinander in der Gesellschaft als aggressiv, die Spannungen entladen sich in den Augen der Menschen immer öfter in verbalen Angriffen.

„Das sind so viele Kleinigkeiten, die schief laufen. Überall trifft man auf Zwiespalt, Neid und Missgunst, kaum jemand ist noch hilfsbereit.“
(60 Jahre, weiblich)

Gefühle der Unsicherheit

Über alle Altersgruppen hinweg wird ein zunehmendes Gefühl von Unsicherheit beschrieben, sowohl im öffentlichen Raum wie auch in politischen und sozialen Fragen. Das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum ist vor allem dadurch erschüttert worden, dass gerade symbolische Orte der Gemeinschaft wie Weihnachtsmärkte, Demonstrationen oder Volksfeste gefühlt zu Risikoplätzen geworden sind. Nur 28 % der Menschen fühlen sich derzeit im öffentlichen Raum sicher.

„Wie die Menschen miteinander umgehen, das macht mir schon Sorgen. Das Sicherheitsgefühl wird weniger und ich frage mich, in was für einer Welt mein Kind aufwachsen wird.“
(33 Jahre, männlich)

Die Krise der Verbundenheit wird auch dadurch verstärkt, dass sich ein Großteil der Menschen von der Politik nicht mehr wertgeschätzt fühlt – wegen steigender Preise, fehlendem Wohnraum, einer maroden Infrastruktur und einer als „unhinterfragt“ empfundenen Migrationspolitik. Die Politik war durch den Dauerzank besonders in der vergangenen Legislaturperiode zudem kein gutes Vorbild für Verbundenheit. Das Misstrauen in die Politik wächst: Viele Menschen haben das Gefühl in einem verwaisten Staat zu leben, dem es an Fürsorge mangelt.

Aus der Krise resultiert eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit

Der Krise der Verbundenheit und den damit oft verbundenen Verlorenheitsgefühlen zum Trotz gibt es eine starke Sehnsucht nach einem verbindenden Miteinander. 95 % der Befragten stimmen zu, dass wir angesichts der weltpolitischen Lage wieder mehr Zusammenhalt in Deutschland brauchen. Und 77 % geben an, sich mehr echte Gemeinschaftserlebnisse zu wünschen – auch mit Menschen, die anders denken als sie.

„Ich hätte gerne ein Gefühl von Verbundenheit, auch zu Leuten, deren politische Meinung ich nicht teile, wir sollten wieder zu einem Miteinander finden und uns dann streiten.“
(29 Jahre, männlich)

Sich gegenüber Kollegen, im erweiterten Freundeskreis frei äußern zu können („wie einem der Schnabel gewachsen ist“), sich sorglos und ohne Ängste im öffentlichen Raum bewegen zu können – das alles wünschen sich die Menschen.

„Die Schotten bei der EM, das war mitreißend. Spaß haben, ohne ein Gegeneinander.“
(42 Jahre, weiblich)

Als mitreißendes Ideal von Verbundenheit wurde in den Tiefeninterviews das deutsche ‚Sommermärchen 2006’ geschildert. Auch aktuelle Großereignisse wie die EM 2024 in Deutschland oder die olympischen Spiele 2024 wirkten integrativ und inspirierend als Vorbild eines gelingenden Miteinanders auf die Menschen. Events wie Konzerte, Festivals werden als sorglose Auszeiten aus dem Alltag erlebt und beleben viele Sehnsüchte nach einem unbeschwerten Miteinander.

Auch das gemeinsame Aufstehen für die Demokratie in Folge der Potsdamer Remigrations-Fantasien schaffte bei den teilnehmenden Demonstranten ein lang vermisstes Wir-Gefühl.

Vitale Verbundenheitsinseln im Alltag

Trotz der Krise der Verbundenheit, die sich insbesondere im öffentlichen Raum zeigt, gibt es zahlreiche Manifestationen von Verbundenheit im Alltag. Ein starkes Verbundenheits-/ Gemeinschaftsgefühl erleben 85 % der Menschen mit der Familie und 83 % mit dem eigenen Freundeskreis. Und 67 % der Befragten erleben ein starkes Verbundenheits-/ Gemeinschaftsgefühl mit der Natur und dem Planeten.

Menschen beschreiben in den Tiefeninterviews, wie sie sich durch gemeinsames Engagement verbunden fühlen – in der Nachbarschaft, in Vereinen, bei kulturellen Aktivitäten, im Ehrenamt, politischen Initiativen oder in Projekt-Initiativen wie etwa dem gemeinsamen Säubern von Parkanlagen.

Aber auch dramatische Ereignisse wie die Überschwemmungen im Ahrtal schweißen zusammen und lassen spontan Solidar-Gemeinschaften entstehen, in denen die Menschen gemeinsam dem Schicksal trotzen.

„Da fand ja dieser große Gottesdienst statt. Der Vorplatz war voller Menschen. Wir Magdeburger sind zusammengerückt, weil wir alle mit den Opfern und den Familien gefühlt haben.“
(35 Jahre, weiblich)

Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel: Auch jeder Einzelne ist gefragt

Diese Sehnsucht nach Verbundenheit wird jedoch in den Augen der Menschen kaum gesellschaftlich kanalisiert. „Mangelnde Verbundenheit kann auf Dauer unsere freiheitliche Demokratie gefährden“, warnt Stephan Grünewald. Die globalen Krisen wirkten dabei wie Brandbeschleuniger. Politik und Gesellschaft stehen vor der Frage, ob und wie sich dieser Erosion gesellschaftlicher Verbundenheit Einhalt gebieten lässt und ob es Möglichkeiten einer Transformation gibt.

Ein gutes Beispiel, so Grünewald, sei die Krise 2022/23 um russisches Gas gewesen, in der für eine kurze Zeit das ganze Land gemeinsam Energie gespart hat, um sie für alle zu sichern. So eine Tatkraft könne Vorbild für weitere Anstrengungen sein, in der sich gestaute Bewegungsenergie in soziale Verbundenheitserlebnisse kanalisiere.

„Jeder Einzelne steht in der Verantwortung, nicht nur das bröckelnde Miteinander zu beklagen“, so der Psychologe, „sondern aktiv im Alltag mehr Verbundenheit zu leben.“ Denn derzeit stimmen nur 24 % zu, dass die Gesellschaft in Deutschland in Zukunft wieder mehr zusammenwächst.

So ein soziales Misstrauen mache die Menschen laut Grünewald anfällig für „totemistisches Stammesdenken“ wie es zurzeit in den USA zu beobachten sei. Doch führe dieser Weg zunehmend in destruktiv-abschottende Strukturen, die dem Entstehen nachhaltiger Verbundenheit entgegenstehen.

Was Verbundenheit braucht

Verbundenheit und gute Beziehungen zu den Mitmenschen steigern die Zuversicht und Zufriedenheit und haben positive Wirkungen auf die seelische und körperliche Gesundheit. Denn gelingende Verbundenheit qualifiziert sich in dem Gefühl einer großen und universellen Aufgehobenheit in dreifachem Sinne.

  • Verbundenheit vermittelt erstens ein Gefühl umfassender Geborgenheit. Man fühlt sich gut aufgehoben und behütet in der Beziehung oder der Gemeinschaft und hat das Gefühl, sich fallen lassen zu können.
  • Verbundenheit vermittelt zweitens ein stolzes Gefühl der Erhabenheit, Größe und Erhöhung. Im Zusammenwachsen wächst der Einzelne über sich hinaus und sieht sich als Teil eines übergreifenden Gebildes. Das Ganze der Verbundenheit ist dann mehr als die Summe ihrer Mitglieder.
  • Verbundenheit vermittelt drittens ein Gefühl der Nivellierung. Die Ich-Grenzen und Eigenverantwortungen werden aufgehoben, beziehungsweise aufgegeben und lösen sich auf. Das Gefühl des Abgegrenzt- und Alleinseins weicht einem Gefühl der Gleichheit und Gleichberechtigung.

Für das Entstehen von Verbundenheit sind jedoch fünf aufeinander aufbauende Bedingungen wichtig. Sie schaffen die notwendige Vertrauensbasis, die die Grundlage jeglicher Verbundenheit ist.

Grundvoraussetzung ist das Vertrauen in einen sicheren Rahmen. Daraus entsteht das Gefühl, sich frei und geschützt bewegen und offen seine Meinung äußern zu können. Das gilt für das private Gespräch wie für öffentliche Räume. Regelwerke, Respekt, Gewaltfreiheit und Transparenz schaffen so einen sicheren Rahmen. Unsicherheit, Dunkelheit, fehlende Ordnungskräfte untergraben hingegen das Vertrauen. Und in einem größeren Maßstab gilt das natürlich auch für die gesellschaftliche-politisch-wirtschaftliche Sicherheit und Perspektive. Erst wenn ein sicherer Rahmen gegeben ist, sind die Menschen bereit, sich zu öffnen.

Für die Befragten sind dies die drei wichtigsten Aspekte, um sich mit anderen verbunden zu fühlen:

a) „Wenn ich respektiert werde“

b) „Wenn meine Anliegen gehört und ernst genommen werden“

c) „Wenn ich mich so zeigen kann, wie ich wirklich bin“

Sich öffnen – Wer sich öffnet vertraut und erzeugt auch Vertrauen beim Gegenüber. Wer stets hermetisch verschlossen ist und alles besser zu wissen glaubt, der kann sich nicht in andere einfühlen und findet auch keinen Zugang zu sich selbst. Wer sich öffnet, macht sich greifbar, aber auch angreifbar. Denn Sich öffnen bedeutet dabei auch immer, sich verletzbar und enttäuschbar zu machen. Dazu gehört auch ein Zugang zu den eigenen Schwächen, Zweifeln, Unvollkommenheiten und Ergänzungsnotwendigkeiten sowie eine Fehlerkultur, die sich selbst und andere als unperfekt akzeptiert. Nur so kann ein gemeinsamer Resonanzraum entstehen.

Resonanzgegenseitiges Sich-Einbringen. Durch die Öffnungen kann man in eine Resonanzbeziehung mit anderen treten, die ein gegenseitiges Sich-Einbringen ermöglicht. Wichtig dabei ist es, nicht nur zu senden, sondern dem anderen auch wirklich zuzuhören, sich auf die Perspektiven, Auffassungen, Haltungen einzulassen und zu versuchen, diese aus seiner Perspektive zu verstehen.

So kann ein lebendiger Austausch entstehen – ein verbindender Resonanzraum beziehungsweise eine gemeinsame Resonanz-Dialektik. Wie bei einem Jazz-Quartett ist jeder mal tonangebend und bietet seine Melodie an, die der andere aufgreift und die man gemeinsam weiterführt. 82 % der Befragten empfinden mehr Bereitschaft, Menschen mit anderen Meinungen zuzuhören, als positiven Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Verbundenheitsgefühl.

Ein gemeinsames Ziel – es schafft (ganz gleich ob bei der Arbeit oder im Sport) eine gemeinsame Richtung. Verbundenheit braucht daher für den Einzelnen übergreifende Ziele, Herausforderungen, Visionen oder ein gemeinsames Schicksal. Die dialektische Resonanzbeziehung erfährt durch gemeinsame Ziele eine klare und im doppelten Sinne verbindliche Ausrichtung. Geteilte Aufgaben, gemeinsam durchlebte Erlebnisse oder Schicksale vertiefen das Vertrauen und das Wir-Gefühl. 75 % der Befragten empfinden gemeinsame Herausforderungen, die von allen Teilen der Gesellschaft zusammen bewältigt werden müssen, als positiven Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Verbundenheitsgefühl.

Entbindung und Entwicklung – Verbundenheit kann nicht erzwungen werden, sondern kann nur entstehen, wenn man auch die Bereitschaft hat, sich wieder zu lösen und zu entbinden. Je stärker man den anderen auf eine Bindung verpflichtet, desto mehr Loslösungstendenzen entstehen auf der anderen Seite. Gemeinschaft sollte immer offen bleiben für Entwicklung, für Emanzipation und Neugestaltung.

Dysfunktionale Liebesbeziehungen oder auch autokratische beziehungsweise diktatorische Regierungsformen versuchen dagegen Verbundenheit zu zementieren. Sie verlangen absolute Loyalität – abweichende Haltungen führen zur ‚Exkommunikation‘. Solche Zwangs-Verbundenheit ermöglicht keine organische Entwicklung. Sie stabilisiert sich eine Zeitlang mithilfe von ‚Zuckerbrot und Peitsche‘, belohnt die Treuen und straft beziehungsweise verteufelt die Abtrünnigen mit Zwang, Druck und Sanktionen.

Aber auch darin ist der Keim der Abweichung, der Loslösung, der Rebellion angelegt und es braucht viel destruktive Energie, um das System abzuschotten und zu zementieren.

Eine gesunde Verbundenheit lässt hingegen Raum zur Entwicklung, ist bereit, sich zu hinterfragen und neue Formen der Gemeinsamkeit wachsen zu lassen. Entwicklung setzt Vertrauen voraus, auch das Vertrauen zum Lösen von alten Formen der Verbundenheit.

Über die Identity Foundation:

Die Identity Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung für Philosophie und realisiert Projekte zu Fragen der Identität. Bisherige Forschungsthemen waren unter anderem Zukunft, die Entwicklung von Eliten, das Selbstverständnis der Deutschen und Aspekte der persönlichen und spirituellen Entfaltung des Menschseins. Seit 2014 ist die Stiftung Kooperationspartner der phil.cologne, dem jährlichen größten deutschen Philosophie-Festival. Auf der Webseite der Stiftung finden Sie auch die Studienergebnisse zum Download.

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